Montag, 13. April 2015

Bergman Reihe : Höstsonaten (Herbstsonate)


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Charlotte Andergast (Ingrid Bergman) besucht an einem Wochenende im Herbst ihre Tochter Eva (Liv Ullmann) in ihrem Haus in Norwegen. Charlotte ist Konzertpianistin, die ihre Tochter seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Eva ist mit dem Pfarrer Viktor (Halvar Björk) verheiratet und pflegt ihre geistig und körperlich behinderte Schwester Helena in ihrem Haus. Mutter und Tochter erhoffen sich eine gegenseitige Annäherung an diesem Wochenende. Am späten Abend spielt Eva ihrer Mutter ein Stück von Chopin am Klavier vor. Charlotte straft sie darauf mit Kritik und demonstriert ihr das man dieses Stück kühl und kraftvoll spielen muß. In der Nacht hat Charlotte einen Alptraum indem ihre Tochter Helena ihre Hand erdrückt. Danach treffen sich Charlotte und Eva zu einem nächtlichen Gespräch, welches bis in den Morgen reicht. Eva macht ihre Mutter für das Leiden ihrer Schwester sowie für ihr eigenes psychisches verantwortlich. Ihre Mutter hätte ihre Kinder im Stich gelassen und sich nur auf ihre Karriere konzentriert. Durch die fehlende Mutterliebe hätte Eva erst gelernt ihre Gefühle zu unterdrücken auch ihrem Ehemann gegenüber. Charlotte ist erschüttert von diesen Vorwürfen, kann ihnen aber nicht viel entgegensetzen. Die Aussprache zwischen Mutter und Tochter wird immer wieder von kleinen Einstellungen aus der Vergangenheit unterbrochen.
Am nächsten Tag reist Charlotte überstürzt ab. Eva schreibt ihr einen Brief indem sie einiges der Aussprache zurücknimmt.
Charlotte befindet sich auf der Zugfahrt zum nächsten Konzerttermin und erzählt ihrem Agenten Paul (Gunnar Björnstrand) ihren Kummer. Als dieser sie trösten will, zieht sie ihre Hand von ihm zurück.

Nachdem Bergman immer noch in Deutschland ansässig sein Schlangenei komplett auch dort drehte zog es ihn für sein nächstes legendäres Projekt wieder nach Skandinavien und zwar nach Norwegen. Produziert wurde Höstsonaten von seiner in München gegründeten Firma Personafilm. Legendär weil dies natürlich der erste Bergman & Bergman Film ist und was für einer ! Ingrid und Ingmar Bergman kannten sich schon länger. Sie hatten auch schon seit geraumer Zeit vor etwas gemeinsam zu drehen. Ein anvisiertes Projekt wurde nie realisiert und dann schickte Ingmar Bergman Ingrid Bergman dieses Drehbuch mit dieser Rolle welche explizit die wunden Punkte ihres Privatlebens und ihrer Biographie aufgreift. In den 40er Jahren ließ Ingrid Bergman ihr Kind Pia, welches sie in den USA mit dem Zahnarzt LIndström hatte, allein, um mit Roberto Rossellini Stromboli zu drehen. Dabei verliebte sie sich in Rossellini, was einen Skandal in Hollywood auslöste. Als sie von ihm schwanger wurde kochte der Herd sogar über und in all den Jahren vernachlässigte sie ihre Tochter in den USA, die sie auch erst nach langer Zeit wiedersah. Zufall oder nicht, was für ein Teufel, der Ingmar doch gewesen ist.


Wenn man Höstsonaten , wie ich, zum ersten Mal gesehen hat, kann man nur sagen : Hut ab vor dieser Frau, die mit zuvor diagnostiziertem Brustkrebs diese Rolle abliefert und bis ins kleinste Detail dabei auf die Knochen geht. Dabei muß man anmerken, dass die Dreharbeiten zwischen den beiden Bergmans nicht gerade einfach verliefen, wie Liv Ullmann berichtete.Bergman und Bergman sollen sich während des Drehs wohl permanent gestritten haben. Das Ergebnis spricht für sich. In der Tat möchte man Ingrid Bergman hier am liebsten schon in den ersten 45 Minuten hochkant aus dem Film befördern, so brachial enervierend gibt sie die vor Vitalität strotzende Charlotte. Während man Eva ständig rütteln und schütteln möchte.


Höstsonaten ist ein schwer auszuhaltender Film und eine Tortur im besten und positiven Sinne für die man als Zuschauer reichlich belohnt wird. Die ersten 45 Minuten sind eine Einleitung auf eine Aussprache, die retrospektiv gesehen wohl zu den heftigsten Aussprachen in einem Ingmar Bergman Film gehört. Darüberhinaus wohl eine der emotionalsten und krassesten Aussprachen zwischen Mutter und Tochter in der gesamten Filmgeschichte darstellt und auch einer der Gründe warum dies für lange Zeit Liv Ullmanns letzte Zusammenarbeit mit Bergman war, da sie sich dieser Intensität endgültig nicht mehr aussetzen wollte. Später als er sie bei Fanny & Alexander besetzen wollte lehnte sie ab, was sie wiederum später bereuhte.

Der Film beginnt wie eine Ouvertüre als Eva von ihrem Ehemann vorgestellt wird sind es seine Gedanken, die uns Eva nahebringen und uns später wiederbegegnen. Genauso wie Charlottes Monologe letztendlich Gedanken sind, die herausgeplappert werden, schwer erträglich aber gut zu dieser Vitalität passen, die im Grunde ein Selbstschutz ist, da sich dahinter die pure Angst und Hilflosigkeit verbirgt. Umso wichtiger ist die Figurenkonstellation in der ersten Hälfte, die zwar schwer auszuhalten ist aber umso deutlicher macht, wie fremd sich Mutter und Tochter sind, dass hier nichts stimmt, es keine Gemeinsamkeiten gibt.
Auf der einen Seite Ingrid Bergman als Charlotte, die alles niederwalzt und der man am liebsten einen Maulkorb verpassen möchte und auf der anderen Liv Ullmann als Eva, die wie eine alte Jungfer daherkommt und in ihrer ganzen Mimik und Bewegung etwas devot, unterwürfiges hat.


Bergman bereitet die Fronten vor und läßt Ingrid Bergman mit ihrer Vitalität vor nichts Rücksicht nehmen zb. in der Szene in der sie mit Eva in das Zimmer der kranken Helena kommt aus dem sie am liebsten gleich wieder schreiend rausrennen würde. Er kehrt dies auch ins komische und läßt sie in dieser selbstironischen Sequenz über den Macher selbst zetern :


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Ingrid Bergman im Bett mit einem wohlbekannten Romanautor : "Das ist ja nicht zu glauben : Ein richtiger Schwulstikus. Oh Gott, so ein Quatsch."

Ungefähr ab der 45. Minute folgt die Stunde der Wahrheit in der alles auf den Tisch kommt. Eingeleitet wird dies durch einen Traum in dem Charlotte träumt die Hände ihrer behinderten Tochter, die sie zuerst sanft berühren, würden sie erdrücken. Wiedereinmal ist das Unterbewußtsein Auslöser für eine Reflexion, die mit einer einfachen, berechtigten Frage an die Tochter beginnt :"Eva, magst du mich eigentlich"? Die Tochter nimmt diese Frage ernst und antwortet :"Ich weiß es nicht."


Damit beginnt die Stunde der Wahrheit. Schritt für Schritt wird Eva sich wahrheitsgemäß öffnen und erzählen wie sie sich sieht und wie sie ihre Mutter sieht, wie sie sich dabei fühlt bzw. gefühlt hat. Das funktioniert ganz langsam. Man kann dabei zusehen wie hier etwas geschält wird. Schicht um Schicht um Schicht fällt bis man beim dunklen Kern angelangt ist, der dann tatsächlich auch noch herausgeholt wird. Dabei läßt sich die Aussprache im Grunde in 4 Teile gliedern. Am Anfang erzählt Eva generell vom Zusammenleben. Im zweiten Teil erzählt sie konkret von der Zeit mit ihrer Mutter. Im 3. Teil, welches der heftigste ist, geht es um ihre Abtreibung als sie erwachsen war und im 4. Teil kommt dann die Liebesgeschichte hinzu. Charlotte versucht dabei dem immer noch eine positive Seite abzugewinnen. In der Rückblende als die Geschichte um Helena erzählt wird zieht Bergman die Zange nochmals weiter an und tischt nun die zweite Mutter-Tochter Geschichte innerhalb dieser Aussprache auf. Als Charlotte sich auf den Boden legt und ihre Geschichte erzählt wird deutlich, dass es noch eine Dimension gibt, nämlich die Zeit vor Eva. Wir sehen und hören eine Frau, die Angst vor diesem Kind hatte, Angst vor der Verantwortung, Angst den Erwartungen nicht gerecht zu werden um dann von diesem Kind zu hören, was diese Ängste bewirkt haben.

Eva (Liv Ullmann) : "Mutter und Tochter : Was für ein furchtbares Konglomerat aus Gefühl, Verwirrung und Zerstörung. Alles ist möglich, alles ist erlaubt, alles geschieht im Namen der Liebe. Die Schäden der Mutter erbt die Tochter. Für die Enttäuschung der Mutter hat die Tochter aufzukommen. Das Unglück der Mutter muß das Unglück der Tochter werden. Es ist als sei die Nabelschnur niemals durchtrennt worden."

Ist eine der vielen, eindringlichen Passagen innerhalb dieser Aussprache, die ungemein brutal sind. In Höstsonaten wird die Unbarmherzigkeit der Aussprache nochmals in ganzer Länge auf die Spitze getrieben. Entblößung und Enttabuisierung der Familie. Reflexion und Wertung. Alles wird ausgesprochen.

Stilistisch hervorzuheben sind die langen Naheinstellungen und die typischen Konstellationen der Köpfe, die man aus so vielen Bergman Filmen kennt.
Aufgebrochen wird dies immer wieder innerhalb der kleinen Rückblenden, die nicht erzählerisch erklären sondern wie kleine Stilleben aus einem vergangenen Leben wirken. Nykvist arbeitet im Kontrast zur dunklen Szenerie innerhalb der nächtlichen Aussprache, hier mit warmen Licht und Totalen, so das kleien Tableaus entstehen in denen die Personen immer im Hintergrund zu sehen sind.
Ähnlich wie in seinen früheren Filmen gibt es hier wieder direkten Monolog wie die Vorlesung des Briefes am Ende in die Kamera.

Jener Brief, den Eva ihrer Mutter schreibt, suggeriert anhaltende Hoffnung. Doch die Problematik wird nicht gelöst, denn der Film bleibt sich ehrlich, was auch der langanhaltende Blick von Charlotte verdeutlicht : Machtlosigkeit.

Man kann auch einfach mal ganz salopp schreiben : Höstsonaten ist ein Runterzieher vor dem Herrn aber einer der sich immer lohnt !

In diesem Sinne :
9/10

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